Carol
Todd Haynes, GB, USA, 2015o
Im New York der 1950er Jahre trifft die junge Kaufhausangestellte Therese auf Carol, eine ältere, wohlhabende und in einer unglücklichen Ehe gefangene Frau. Die gegenseitige Faszination führt bald zu einer geheimen Liebesbeziehung.
Die beiden Darstellerinnen sind phänomenal, und Regisseur Haynes ist wie schon in «Far From Heaven» geradezu besoffen von den Farben der Fünfzigerjahre. Das Buch, das Patricia Highsmith 1952 unter einem Pseudonym veröffentlichte, war der erste Lesbenroman, der nicht mit einer Katastrophe endete. Dennoch ist seine Lektüre ähnlich beklemmend wie die Thriller der Autorin. Dieser Aspekt kommt in der Verfilmung kaum vor. Aber der beiden Darstellerinnen wegen lohnt sich ein Besuch allemal.
Thomas BodmerSieht man nun den fertigen Film, den Todd Haynes, der vor allem für seine fiktive Bob-Dylan-Biografie "I'm Not There" bekannt ist, nach Jahren der Drehbuch- und Finanzierungsarbeit gemacht hat, kann man nur urteilen: Das Warten hat sich gelohnt. Seine beiden Darstellerinnen und er haben aus der Buchvorlage keine museale Fifties-Geschichte fürs Kino gemacht, sondern vielmehr einen Film, der in erster Linie von einer explosiven großen Liebe erzählt, die zeit- und ortlos ist. (Auszug)
David SteinitzTechniquement brillante, cette adaptation d’un roman de Patricia Highsmith transporte le spectateur dans une romance taboue, puissamment interprétée par deux actrices au sommet de leur art.
La RédactionAu-delà de l’interdit filmé avec une pudeur exemplaire, ce sont les conventions, les abîmes institués entre classes sociales que pointe Todd Haynes de film en film. Celui-ci, d’une beauté renversante, impose Rooney Mara, filmée de manière à ce que l’on puisse croire qu’en elle Audrey Hepburn s’est réincarnée.
Philippe LagoucheFilm somptueux, Carol l’est surtout dans l’adéquation qu’il établit entre une distinction des manières et une grandeur d’âme et de sentiments.
Laura TuillierGalerieo
Regisseur Todd Haynes über Carol.
Tagesanzeiger:Lief vor Ihrem inneren Auge sofort ein Film ab, als Sie Patricia Highsmiths Roman lasen?
Todd Haynes: Ich konnte ihn mir nicht sofort als Film vorstellen. Gewöhnlich mache ich zuerst ein Bilderbuch, damit ich weiss, wohin es geht. Eine intensive Arbeit, die sehr lange dauern kann. Ich suche Referenzen, nehme Standbilder aus anderen Filmen und collagiere sie zu Kapiteln.
Was löste der Roman bei Ihnen aus?
Mir kam es vor, als steckte die Verkäuferin Therese in einem Loch. Wie in Platos Höhle, in der sie ihre Fantasien auf die Wand projiziert. Das liebe ich auch an dem Roman, einmal fahren die Frauen durch den Tunnel nach New Jersey, und Highsmith schreibt: «Therese wünschte, der Tunnel bräche ein und begrübe sie beide unter sich, sodass ihre Leichname zusammen geborgen würden.» Das beschreibt Liebe! Man lebt im Moment, der ganze Gefühlsexzess überschiesst Zukunft und Vergangenheit. Diese Dramatisierung! Diese Grausamkeit!
In Carol zeigen Sie oft Blicke durch Scheiben und Fenster. Wieso?
Die grösste Wirkung haben für mich jene Liebesfilme, in denen man auf der verletzlichen Seite steht, hier also die Seite von Therese. Es ist die Sicht der gefährdeten Person. Eine, die die Welt ständig liest, gar überinterpretiert. Alles ist für sie ein Zeichen der Frage, ob die andere Person dasselbe spürt wie sie. Eine Trennung zwischen Schauendem und Angeschautem. Aber statt es aus der Sicht von Therese zu inszenieren, setzt der Film ausserhalb davon an. Also treten Glas und Spiegelungen in den Vordergrund, womit der Akt des Schauens selbst ins Spiel kommt. Es geht darum, dass man mehr sehen will, als man sehen kann. Ein Vorbild war die Reportagefotografie von damals, deren Farbpalette eher verschmutzt war. Auch das wirft die Frage auf, was man eigentlich sieht.
Hinter vielen Sätzen verbirgt sich Ungesagtes, vor allem im Geheimcode von Therese und Carol.
Ja, weil sie ein Doppelleben führen mussten. Interessant an dieser Zeit lange vor den Stonewall-Unruhen von 1969 ist, dass es aufregende Momente gab, in denen man frei war, sich zu bewegen. Dass Carol eine junge Frau wie Therese zum Mittagessen einladen konnte, war weit gesellschaftsfähiger, als wenn sie einen Kollegen eingeladen hätte. Diese überraschenden Momente der Freiheit, die wir von der Vergangenheit so nicht erwarten, schaffen umso erregendere Räume, in denen man sich näherkommen kann. Für den heutigen Zuschauer ist es seltsam zu sehen, wie eine ältere Frau so dreist sein kann, eine jüngere zu sich nach Hause einzuladen. In Wahrheit tut sie das, was damals akzeptiert war.
Reden wir über die Szene, in der sich die Frauen zum ersten Mal zum Lunch treffen. Wie haben Sie da die Schauspielerinnen geführt?
Eigentlich war alles da, in den Dialogen. Aber es gibt eine Nachdenklichkeit, man lässt gewisse Momente in der Luft hängen. Also geht es ums Schauspiel, um Rooney Maras Versuch, beim Lunch so zu tun, als sei sie das Erwachsenenleben mit Zigaretten und Martini gewöhnt. Der zentrale Moment ist der, in dem Carol abwesend wirkt. Ein Moment der Unlesbarkeit, in dem sie wirkt, als gleite sie in die Depression ab, womit sie Therese verwundet. Ein winziger Todesmoment.
Aber später machen sie einen Ausflug, und das Licht wird klarer.
Es gibt sogar ein paar Augenblicke spontanen Vergnügens. Man erwartet ja, dass die beiden auf eine Art ihre Liebe füreinander ausdrücken können. Aber man ahnt auch, dass es klare Grenzen gibt. Und sie einen Preis zahlen müssen.