Mia madre
Nanni Moretti, Italien, Frankreich, 2015o
Die Regisseruin Margherita stekct mitten in den Dreharbeiten zu einem Film, bei dem ihr der amerikanische Star in Hauptrolle mit seinen Allüren zusetzt. Zu ihren künstlerischen Selbstzweiflen kommen private Ängste: Ihre Mutter liegt im Krankenhaus, ihre Tochter steckt mitten in der Pubertätskrise. Und ihr Bruder zeigt sich wie immer untadelig. Als die Mutter stirbt, muss sich Margherita eingestehen, dass sie nicht die starke Person ist, für die sie alle halten.
Wie so oft in Nanni Morettis Werk liegt auch Mia Madre ein sehr persönlicher, biografischer Kern zugrunde: Der Film ist in grossen Zügen die künstlerische Verarbeitung des Todes seiner Mutter. Moretti selbst übernimmt darin sogar die Rolle des Sohnes einer sterbenden Frau, die – wie seine eigene Mutter – einst Lateinlehrerin war. Sein eigentliches Alter Ego verkörpert allerdings die ihm eng verbundene und von ihm immer wieder besetzte Margherita Buy. Als Tochter der Sterbenden verkörpert sie eine neurotische, labile und zugleich entschlossene Regisseurin, die zunehmend zwischen der Pflege der Mutter und den Anforderungen ihres Filmsets zerrieben wird. Dort inszeniert sie eine Geschichte über die Rechte der Arbeiterklasse – und hat zusätzlich mit einem grossspurigen und noch exzentrischeren amerikanischen Star (grandios: John Turturro) zu kämpfen, der ihr den letzten Nerv raubt. Mit dem üblichen trockenem und bissigem Humor arbeitet Moretti intensiv an der Figurenzeichnung. Daraus erwächst ein bestechendes, von Rückblenden durchzogenes Gefühlsuniversum zweier Erwachsener, die sich nicht damit abfinden wollen, dass sie bald ohne die ältere Generation leben und selbst in deren Rolle treten müssen. Ein Gefühl, das wohl jede:n beim Tod der Eltern heimsucht, unabhängig vom eigenen Alter. Die französischen Cahiers du cinéma kürten den Film 2015 zum besten des Jahres.
Till BrockmannDies ist der düsterste Film, den Nanni Moretti je gedreht hat, aber auch einer der schönsten. Die letzten Tage der Mutter werden mit grosser Sorgfalt und bewegender Authentizität dargestellt; Margheritas inneres Chaos spiegelt sich in Halluzinationsbildern, die aus einem Film von Kubrick stammen könnten (der amerikanische Regisseur wird auch erwähnt, was zweifellos kein Zufall ist)
Pierfrancesco BasileEin wunderschöner Film für alle, die ihre Mutter lieben, und zwar unabhängig davon, ob sie es geschafft haben, diese Liebe auch als Erwachsener noch zu zeigen, oder nicht. Also für ziemlich viele. Moretti verflicht geschickt die filmische Wirklichkeit im Krankenhaus und an Margheritas Arbeitsplatz, dem Set zu einem sozialkritischen Film, mit Margheritas Erinnerungen und Träumen. Dadurch entsteht ein präzises, vielschichtiges Bild ihres emotionalen und mentalen Zustandes.
Wenke Husmann