Capharnaüm
Nadine Labaki, Libanon, 2018o
Der Beiruter Strassenjunge Zaïn verlangt vor Gericht, dass seine Eltern keine weiteren Kinder in die Welt setzen dürfen. Rückblenden führen vor Augen, wie es zu dieser Forderung kam: Wie sich der Elfjährige für seine kleineren Geschwister und seine lieblosen Eltern tagaus tagein abrackerte. Wie er einen aussichtslosen Kampf gegen die Verschacherung seiner dreizehnjährigen Schwester führte. Wie er schliesslich floh, sich auf der Strasse durchschlug und mit der plötzlichen Verantwortung für den Säugling einer rechtlosen Einwanderin an die Grenze seiner Kräfte kam.
I bambinie ci guardano, deutsch: Die Kinder beobachten uns: So lautete der erste von drei Aufsehen erregenden Filmen, in denen der grosse italienische Schauspieler und Regisseur Vittorio De Sica kurz nach dem Krieg das Schicksal römischer Unterschichts-, Heim- und Strassenkinder vor Augen führte und die Gesellschaft anprangerte, die dieses zuliess. Zahllose RegisseurInnen in Krisen- und Entwicklungsländern sind De Sica seither gefolgt, doch kaum jemand so konsequent und eindringlich wie die Libanesin Nadine Labaki in Capharnaüm, deutsch: Chaos. Nur ein hauchdünner Firn von Fiktion liegt über ihren quasi-dokumentarischen Szenen, die sie in dreijähriger Arbeit mit realen Strassenkindern und ähnlich rechtlosen Erwachsenen in den Strassen von Beirut erarbeitet hat. Das Resultat ist erschütternd, zeigt himmelschreiendes Elend und Unrecht so ungeschminkt, dass man von einem der traurigsten Filme aller Zeiten sprechen müsste, wären seine Machart und sein Protagonist, der kleine Kämpfer Zaïn, nicht gleichzeitig so mitreissend und inspirierend. Nein, dies ist kein Feel-Good-Movie, sondern eine knallharte Anklage, doch eine, die Mut macht, weil sie vom Durchalten unter Umständen erzählt, die das menschlich Verträgliche aus Sicht eines nordwestlichen Wohlstandseuropäers weit übersteigt.
Andreas FurlerCapharnaüm de Nadine Labaki, Prix du Jury à Cannes 2018, est une œuvre bouleversante sur le thème de l’enfance maltraitée. S’il déchaîne pleurs et passions – certains détracteurs se sentant « manipulés » – le film lance aussi un débat sur le sort des réfugiés.
Olivier BombardaAujourd’hui, grâce au film, le gamin et sa famille s’apprêtent à s’installer en Norvège, et il va pouvoir aller à l’école. Cet enfant au jeu si puissant a gagné son procès contre l’injustice du monde.
Guillemette OdicinoC'est prenant, haletant même, un poil surligné par la musique, mais cela reste du cinéma fort, concernant et romanesque.
Christophe Carrière