Intouchables
Eric Toledano, Olivier Nakache, Frankreich, 2011o
Der Pariser Aristokrat Philippe ist seit einem Unfall vom Hals abwärts gelähmt und sucht einen neuen Pfleger. Aus dem Heer der salbungsvoll vortrabenden Bewerber sticht der afrikanische Kleinkriminelle Driss als der einzige ehrliche und absolut ungeeignetste heraus. Philippe wagt den Versuch: Anzug trifft Trainerhose, Vivaldi auf Earth, Wind and Fire – der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
François Cluzet ist großartig als Philippe, unpathetisch und würdevoll, bis er seiner Depression verfällt, Omar Sy macht es sich aber ziemlich leicht mit seinen Lektionen in Lebenslust, einem Katalog des Draufgängertums. Am Ende fehlt dann die richtige beinahtragische Fallhöhe, ohne die eine Komödie nicht funktionieren kann, das heißt, "Intouchables" funktioniert als Metapher, aber nicht voll als Film. (Auszug)
Fritz GöttlerManchmal kommt ein Film, der ist eigentlich gar nicht so umwerfend komisch oder ungeheuer berührend oder auch nur sonderlich originell in seinem Genremuster-Mix, aber er spricht unverhofft eine tief sitzende Sehnsucht an. So erklärt sich wohl auch der geradezu exorbitante Erfolg dieser flotten, gefälligen Buddykomödie um eine milieuübergreifende wunderbare Freundschaft.
Intouchables est un film hilarant. Bien longtemps qu'on n'avait pas vu une comédie française de cette qualité.
Anthony PalouIntouchables fait partie de ces films très rares qui réchauffent le coeur et donnent à réfléchir sur l'insigne fragilité de la condition humaine sans apitoiement ni complaisance.
Jean-Philippe GuerantIntouchables est une comédie qui concilie l'inconciliable, le riche et le pauvre, l'invalide et le bien portant, le placide et le vanneur, l'esthète et le profane. C'est un récital de bons mots , un déluge d'impertinences, un festival de tubes.
Christophe NarbonneGalerieo
Den schwarzen Pfleger aus «Intouchables» gibt es wirklich – bloss in Weiss. In seiner Biografie erzählt der ehemalige Kleinkriminelle nun die wahre Geschichte – genauso politisch unkorrekt wie sein Alter Ego.
Wer ganz am Ende des französischen Kinofilms «Intouchables» kurz abgelenkt war, weil er die letzten Popcorn-Krümel aus der Papiertüte geklaubt oder schon nach seiner Tasche auf dem Boden gegriffen hat, hat den entscheidenden Moment vermutlich verpasst: Die Szene, in der die wahren Personen hinter der unglaublichen Geschichte kurz auf der Leinwand zu sehen sind. Denn der grosse, athletische, gutaussehende schwarze Pfleger aus dem Film ist in Wirklichkeit klein, mollig und sieht aus wie Shrek in Weiss. Er heisst nicht Driss, sondern Abdel.
Dafür ist der Algerier Abdel Sellou der echte «ziemlich beste Freund» des schwerreichen Philippe Pozzo di Borgo, der seit einem Gleitschirmunfall halsabwärts gelähmt ist – oder, wie Sellou seinen früheren Chef in seiner kürzlich erschienenen Biografie beschreibt, «ein Toter mit funktionierendem Kopf».
Alles gleich, ausser optisch
Abgesehen davon, dass der schwarze Pfleger Driss (Omar Sy) aus dem Film und der weisse Pfleger Abdel aus der Wirklichkeit optisch völlig verschieden sind, hat sich fast alles genau so zugetragen wie auf der Leinwand. Zumindest schreibt dies Sellou in seinem Buch «Einfach Freunde» (französischer Originaltitel: «Tu as changé ma vie»). Die Szene mit Pozzo di Borgos gespieltem Anfall im Auto, dank dem die beiden der Polizei entkommen, die Sache mit den Joints, die der Pfleger seinem Boss zur Schmerzlinderung dreht, und auch die Szene in der Gallerie – alles ist tatsächlich geschehen.
Wie sein Alter Ego Driss hat auch Abdel Sellou die Hausangestellte seines Chefs belästigt, auch er hat Gespielinnen für diesen besorgt. Bloss hat er im richtigen Leben keinen Maserati Quattroporte, sondern zuerst einen Jaguar XJS und dann einen Rolls-Royce Silver Spirit (zu Schrott) gefahren. Das wertvolle Fabergé-Ei hat er in Wahrheit nie geklaut und tanzen kann Abdel Sellou auch nicht.
Schon als Kind kriminell
«Intouchables» hat wohl unter anderem deshalb das gewisse Etwas, weil es diese einzigartige Freundschaft zwischen dem reichen Tetraplegiker und dem taktlosen Kleinkriminellen tatsächlich gibt. In der Schweiz hat die Dramakomödie sich mit 1,2 Millionen Zuschauern gerade auf Rang 2 der hierzulande erfolgreichsten Filme aller Zeiten geschoben (hinter «Titanic» und vor «Avatar»).
Das Beste im Film ist jedoch dieser politisch absolut unkorrekte Humor, den der Leinwand-Pfleger seinem gelähmten Chef bei jeder Gelegenheit an den Kopf wirft. Genauso frech und unbekümmert erzählt der echte Pfleger in «Einfach Freunde» von seiner kleinkriminellen Vergangenheit, die im Film ausgespart ist, weil er sie bislang niemandem erzählt hat. Der Algerier beschreibt, wie er seine Karriere mit dem Klauen von PEZ-Figuren lancierte, wie er später Mitschüler erpresste, Touristen um ihre Kameras brachte oder reichen Franzosen falsche Drogen verkaufte. Unzählige Male wurde er von der Polizei geschnappt, was ihn jedoch überhaupt nicht kümmerte. Den mehrmonatigen Knastaufenthalt als 18-Jähriger beschreibt Sellou als «Club Med, einfach ohne Sonne und Miezen» und die Welt als «riesigen Laden, in dem alles, was mir gefiel, kostenlos zu haben war».
Abdel Sellou wurde als Kind von seinen Eltern in Algier zu kinderlosen Verwanden in Paris geschickt, die Klein-Abdel jedoch aus Liebe alles durchgehen liessen. Bald trieb er sich fast nur noch auf den Strassen seines Viertels herum, in dem «aus Einsamkeit und Verzweiflung» gestorben wurde und zwar «meistens durch Fenstersturz». Mehrere dieser Selbstmorde hat Sellou selber mit angesehen. Im Buch schreibt er vom Suizidopfer, das wie ein «Hampelmann» auf der Strasse lag oder von der beleibten Nachbarin, die wie eine überreife Tomate auf den Asphalt geklatscht sei. «Wir mussten darüber furchtbar lachen.»
Wie Driss, bloss unsympathischer
Ja, Abdel Sellou scheint im richtigen Leben genauso zu sein wie Driss aus dem Film, «einfach unsympathischer und weniger gut aussehend», wie er in seinem Buch zugibt. Beim gelähmten Philippe Pozzo di Borgo sei er geblieben, «weil wir schliesslich keine Tiere sind» und auch, weil ihm die Dienstwohnung «zusagte». Von dieser unsentimentalen bis unsensiblen Art des Pflegers lebt sowohl der Film als auch das Buch, das sich flockig liest und immer wieder Vergleiche zu Comicfiguren oder Filmen zieht. In seiner kriminellen Jugend scheint alles ein Spiel für Abdel Sellou gewesen zu sein, zumindest gegen aussen. An einer Stelle im Buch schreibt er, dass seine Superkraft die Unantastbarkeit sei.
Wer den Film gesehen hat, findet diverse Szenen im Buch wider. Andere sind dafür nur kurz angetippt und gehen so ein wenig unter im Gegensatz zum Film. Dafür erzählt «Einfach Freunde» ausführlich Abdel Sellous Geschichte, bevor er auf Philippe Pozzo di Borgo traf. Bis vor wenigen Monaten hat er sich geweigert, über seine Vergangenheit zu reden, nicht einmal mit seinem langjährigen Boss und Freund, den er bis heute siezt. Auch beim Film, dem eine Dokumentation und Pozzo di Borgos eigene Biografie vorausgegangen war («Le second souffle»), wollte Abdel Sellou zuerst nicht mitmachen.
Dass er nach dem riesigen Kino-Erfolg nun plötzlich doch über seine Vergangenheit redet und erst noch in Biografie-Form, wird all jene bestätigen, die in Sellou einen Schmarotzer sehen, der vor allem an Geld interessiert ist und einzig von Pozzo di Borgos Luxusleben profitieren wollte. Am Film verdient er nach eigenen Angaben nichts. Dafür gehen fünf Prozent der Einnahmen an den Förderverein für Behinderte, Simon de Cyrène. Da wäre es kaum verwerflich, dass der heutige Masthähnchen-Unternehmer und dreifache Vater nun selber ein bisschen Geld an seiner Geschichte herausholen will. Er selber bezeichnet seine Biografie jedoch als Dankeschön an Philippe Pozzo di Borgo, mit dem er immer noch fast täglich telefoniert. «Ich habe zwei Väter, zwei Mütter, ein Alter Ego im Kino (...). Ich habe immer Spielkameraden, Kumpels, Komplizen gehabt. Monsieur Pozzo ist vielleicht einfach ein Freund. Der erste. Der einzige.» Abdel Sellou mag ein böser Bube (gewesen) sein. Aber nicht nur.