Zum Beispiel Suberg
Simon Baumann, Schweiz, 2013o
Auf halber Strecke zwischen Bern und Biel, im nebligen Lyssbachtal, liegt das verschlafene Bauerndorf Suberg. Filmemacher Simon Baumann lebt hier zwar schon sein ganzes Leben, doch hat er das Dorf und seine Bewohner während dieser Zeit weitgehend ignoriert. Mittlerweile leben auch seine wenigen Freunde in Zürich oder Berlin und so sind die Abende in der Provinz einsamer geworden. Baumann beschliesst deshalb, Teil der Dorfgemeinschaft zu werden. Aber wie lernt man die Bewohner eines Dorfes kennen, wenn alle Begegnungsorte längst verschwunden sind?
Zum Beispiel Suberg ist die Suche eines Menschen nach einem Ort, an dem er sich zuhause fühlt, eine differenzierte und persönliche Dorfchronik, und ein Nachdenken über das Zusammenleben in einer Schweiz, in der man sich allzu gerne zurückzieht. [...] Der preisgekrönte Dokumentarfilm aus dem Jahr 2013 ist fünf Jahre nach seinem Erscheinen sehenswert wie eh und je.
Lisa RöösliGalerieo
Hat der Dokumentarfilm Zum Beispiel Suberg von Simon Baumann das Schlafdorf im Berner Seeland geweckt? Wird sich etwas verändern? Suberger und andere Menschen sagen, was sie denken.
Plötzlich ist Suberg in aller Munde. Das kleine Berner Dorf im Seeland wächst in den Köpfen der Schweizer zu einer grossen Gedankenblase heran, und die Menschen haben das Bedürfnis zu sprechen. Über Zersiedelung, Bauboom, den Verlust von Gemeinschaft. Nicht grundlos heisst der Film Zum Beispiel Suberg: Was diesen paar Hundert Einwohnern in den letzten dreissig Jahren widerfahren ist, könnte genauso gut das Schicksal einer x-beliebigen Gemeinde zwischen Zürich und Genf oder Basel und Chur sein.
Der Dokumentarfilm von Simon Baumann füllt derzeit die Kinokassen. Allein in der ersten Woche lockte Zum Beispiel Suberg schweizweit über viertausend Personen vor die Leinwand. In Lyss kamen mehr Leute als beim letzten James Bond. Baumann entwaffnet Globalisierungsfreunde und Neoliberale mit seinem melancholischen und doch humorvollen Porträt des Dorfes Suberg. Das Werk bringt ihm viel mediale Präsenz, Lob und Filmpreise. Derweil sich die Botschaft des Films überregional setzt, geht im kleinen Suberg das Leben weiter: Was hat der Film dort ausgelöst, wird er das Dorf nachhaltig verändern? Suberger und andere Menschen haben darüber nachgedacht.
Zum Beispiel Niklaus Marti
Gemeindepräsident Niklaus Marti hat wenig Hoffnung. Der Film gefällt ihm, Baumann habe seine Sache gut gemacht, treffend und nicht tendenziös. Dennoch: «Verändern wird der Film nichts», sagt Marti emotionslos. Bei vielen Einwohnern löse er zwar melancholische Gefühle aus, sie wollen die alten Zeiten heraufbeschwören, früher war doch alles besser. «Wenn sich etwas verändern soll, müssten wir den Leuten ihre Autos wegnehmen», sagt Marti.
Früher sei den Subergern halt nichts anderes übrig geblieben, als sich miteinander zu arrangieren. Eine Art Zwangsgemeinschaft also. «Wenn heute aus Lust nach Verbundenheit Ideen und Projekte geboren werden, sind das Alibiübungen, das ist gekünstelt und geht meistens schnell wieder vorbei.» Niklaus Marti malt ein düsteres Zukunftsbild seiner Gemeinde, aller Gemeinden: Nicht nur dass der Mensch nicht mehr in die Beiz geht zum Jassen. Die Beizen werden sterben, die Vereine auch. «Jeder hat doch tausend andere Sachen zu tun», sagt Marti.
Zum Beispiel Hollensteins
Optimistischer sieht dies Esther Hollenstein. Im Film wird die Rentnerin zur Retterin des Gemeinschaftsgefühls: In ihrem winzigen Bäckereiladen etwas abseits der Hauptstrasse gibt es nicht nur Holzofenzüpfe und Kuchen, sondern auch Klatsch und Tratsch. Vor fast vier Jahren liessen sie und ihr Mann das Holzhüttchen neben ihrem Wohnhaus errichten: Genau 9,9 Quadratmeter gross ist es, weil Hollensteins ab 10 eine Baubewilligung benötigt hätten.
Zweimal in der Woche ist der Laden geöffnet, ansonsten liefert das Ehepaar seine Ware auch aus. Die Suberger stehen manchmal Schlange vor dem schmucken Häuschen. «Richtig stressig» seis die letzten Wochen gewesen, seit der Film in den Kinos laufe, sagt Esther Hollenstein. Sie habe nun viel mehr Kunden als vorher. Für sie hat Suberg die gröbste Krise bereits überstanden. In den letzten Jahren seien vermehrt jüngere Familien ins Dorf gezogen, es habe Leben gegeben. «Nun gehts wieder aufwärts.»
Zum Beispiel Thomas Pfister
Auch Thomas Pfister darf sich über mehr Gäste freuen. Er führt «Pfisters Goldenen Krug», das einzige Restaurant in Suberg. Als Nachfolger des polemischen Polterers, wie einige Einheimische den ehemaligen Wirt Josef Pelzmann bezeichnen, hat er kein einfaches Erbe angetreten: Seit Jahren ist das Restaurant mit 14 «Gault Millau»-Punkten als Gourmettempel verschrien, den die Dorfbewohner meiden würden. Das wird auch im Dokumentarfilm so unterstrichen: Der Männerchor sei im «Krug» nicht mehr willkommen, sagt Simon Baumann, der Verein müsse nach Seewil ausweichen.
Mit einem Inserat im Aarberger Anzeiger reagierte Pfister auf die Vorwürfe im Film. «Wir sind die Dorfbeiz von Suberg», steht da. «Wir servieren Ihnen auch gerne etwas Besonderes, weshalb wir noch lange kein Gourmetrestaurant sind.» Ob Bauer, Handwerker oder Chauffeur: Alle seien willkommen. Der Spagat zwischen Dorfbeiz und Gourmetrestaurant sei ein Kraftakt, sagt Pfister. Doch er scheint ihm gelungen: Der Männerchor jedenfalls kehrt wieder einmal pro Woche im «Krug» ein. «Meine Beiz wird von niemandem gemieden», betont Thomas Pfister.
Zum Beispiel Kappelen
Simon Baumanns Film beeindruckt auch in anderen Seeländer Gemeinden, die Angst haben, zum Schlafdorf zu verkommen. Kappelen zum Beispiel. Um genau dieser Entseelung entgegenzuwirken, drehen sich die Diskussionen dort intensiv um die Gestaltung eines neuen Dorfkerns. «Nicht dass wir enden wie Suberg», sagt Gemeindeschreiber Thomas Buchser.
Wie endete Suberg, oder: Fängt Suberg nach dem Film nochmals an? Hat das Porträt einer Identitätslosigkeit dem Dorf ein neues Gesicht gegeben? Fragen, die sich auch der Grossaffoltner «Land- und Stadtspaziergänger», wie sich Peter Affolter nennt, stellt. «Der Film regt zu Gesprächen mit verschiedensten Menschen an, jedenfalls im Dorf und in der Region. Und das ist gut so.» Er sei viele Jahre beruflich in der ganzen Welt tätig gewesen, sagt der fast 70-Jährige. Dabei habe er festgestellt, dass Menschen überall, wo sie aufeinander zugehen wollten, dies auch unter wenig attraktiven äusseren Bedingungen und ohne grossen organisatorischen Aufwand tun könnten: «Hecken und Barrieren können da plötzlich überwunden werden.»