Sorry, Baby
Eva Victor, USA, Frankreich, 2025o
Agnes, einst eine herausragende Studentin und inzwischen Juniorprofessorin an ihrer Uni in Massachusetts, führt ein zurückgezogenes Leben im ländlichen New England. Sie und ihr Nachbar sind sich nähergekommen, aber richtig verstanden fühlt sie sich nur von ihrer besten Freundin und ehemaligen Mitbewohnerin Lydie, die in New York lebt und sie ab und zu besucht. Denn Agnes kämpft seit Jahren mit den traumatischen Folgen eines Übergriffs ihres damaligen akademischen Mentors. In fünf Kapiteln begleitet der Film Agnes durch drei entscheidende Jahre ihres Lebens.
Die amerikanische Schauspielerin Eva Victor ging mit satirischen Videos auf Twitter viral. In ihrem Debüt als mittlerweile non-binäre Regieperson filmt sie sich in der Schlüsselszene ausserhalb eines Hauses: Die Anglistik- Doktorandin Agnes, gespielt von Victor selbst, soll ihre Dissertation mit ihrem Professor bei ihm zu Hause besprechen. Die Kamera zeigt die Schauspielerin beim Betreten des Hauses, die Regisseurin aber bleibt draussen und filmt das Haus und das Vergehen der Zeit. Es ist Nachmittag, dann Abend, dann Nacht. In der Zwischenzeit ist es hinter der weissen Fassade des Hauses zu einem sexuellen Übergriff gekommen. Man hat nichts gesehen, nichts gehört, nur geahnt. Und man ist erschüttert. Es folgt eine Reihe von Lebensfragmenten in den Jahren danach, die als Kapitel von unterschiedlicher Länge angelegt sind. Auf das «Jahr der Fragen» folgt jenes «des guten Sandwichs». Wegziehen aus der kleinen Universitätsstadt wäre eine Option gewesen. Aber Agnes ist geblieben. Sie hat unter Panikattacken im Auto gelitten, unter Schlaflosigkeit allein in ihrem Haus, unter der Verwirrung angesichts akademischer Chancen und der Bitterkeit unbegründeter Eifersüchteleien ihr gegenüber. Sie hat sich mit ihrem Freundeskreis und immer wieder mit ihrer besten Freundin getroffen und Zeichen der Zuneigung bekommen. Aber die traumatische Erinnerung weicht nie ganz, es fehlen die Worte. Doch das macht nichts: Eva Victor findet die richtigen Bilder, den richtigen Rhythmus und Ton. Eine Mischung aus Taktgefühl, Humor und Esprit, die durch die Raffinesse des Drehbuchs und der Inszenierung ihren ganzen Reiz entfaltet. Reduziert auf wenige Räume und eine Handvoll Figuren, ist die Welt von Sorry, Baby in sich geschlossen und zugleich gross und offen wie ihre Figur, die weiterlebt, wie sie kann, oder vielmehr, wie sie muss, mit Mut und Intelligenz in einer Welt, in der nur Babys noch nichts zugestossen ist. Der Wert der Produktionsfirma des Films, A24, wurde kürzlich auf über drei Milliarden Dollar geschätzt. Ein Film wie Sorry, Baby hat keinen Preis.
Émilien GürGalerieo








